Seit ca. einem Jahr bin ich ehrenamtliche Familienbegleiterin beim Ambulanten Kinderhospiz Halle. Ich kam dazu, die Ausbildung zur Familienbegleiterin zu machen, weil ich das Thema Krankheit und Tod gern aus bisher nicht gesehenen Perspektiven erleben wollte. Ich studiere Medizin, die sich meistens auf das möglichst schnelle Heilen fokussiert. Wie aber Kinder und deren Familien mit schweren Erkrankungen umgehen, lernt man nicht in Büchern und auch nicht wirklich im Krankenhaus. Ich wollte gerne für eine Familie da sein, inwiefern auch immer.
Seit ca. 6 Monaten bin ich bei der Familie Solyman. Dyar Solyman, ein Sohn der Familie, 8 Jahre, hat eine Leukämie. Ich verbringe vor allem Zeit mit den beiden gesunden Brüdern von Dyar, Delan und Gylan. Die beiden sind 12 und 14 Jahre alt. Die jüngste von den Kindern ist Katrin, doch sie hat mit ihren 4 Jahren ihre drei großen Brüder sehr gut im Griff! Meist treffe ich alle Geschwister und die Mama an, wenn ich ca 1-2x/Woche zur Familie in die Wohnung komme. Der Papa arbeitet sehr viel und kommt oft erst spät nach Hause.
Gylan und Delan haben beide um Nachhilfe für die Schule gebeten. Meistens helfe ich also bei Hausaufgaben oder lerne mit ihnen für kommende Tests oder Klassenarbeiten, von denen es wirklich reichlich gibt..manchmal sind sie davon ganz schön überfordert, was ich gut nachvollziehen kann. Nicht immer kann ich sie motivieren, sich nach einem Schultag von 8 bis 15 Uhr dann noch mit mir über Schulbücher zu hängen..dann quatschen wir einfach ein bisschen. Oft werde ich zum Essen eingeladen. Die Mutter kocht leckere syrische Gerichte und überhäuft mich mit Süßigkeiten, die ich mitnehmen muss! Die ganze Familie kann sich köstlich amüsieren über meine kläglichen Versuche, syrische Vokabeln richtig auszusprechen.
Ich helfe auch so gut ich kann mit dem deutschen Bürokratie-Dschungel, durch die sich die Familie durchgehend schlagen muss: fast täglich landen Briefe im Briefkasten von allen möglichen Behörden, die ich versuche zu übersetzen und mit der Familie zu verstehen, was wie auszufüllen und bis wann wohin zurückzuschicken ist. Aber oft bin ich da auch überfragt.
Von der Familie Solyman kann ich jedes Mal etwas lernen. Mich beeindruckt, wie liebevoll die großen Brüder sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern, wie viel sie neben ihrer Schule an Aufgaben in der Familie übernehmen und an Hilfe leisten. Mich beeindruckt, wie die ganze Familie mich immer freundlich aufnimmt, mich einlädt, und mir deutlich macht, worüber ich mich in meinem Leben zu viel beschwere und worüber ich mich meist zu wenig freue.